Montag, 29. September 2014
Ein langer Eintrag in dem es nicht immer um Peru geht und den niemand ganz lesen wird
Hier
sind ja gerade Wahlen. Beziehungsweise am 5.10 sind Wahlen. Das hieß
erstmal nur, dass an jeder zweiten Hauswand Werbung für eine Partei
gemacht wird. Da gibt es unzählige und die Parteien werden von den
Menschen auch nicht mit ihrem Namen angesprochen sondern mit den
Bildchen, dass für sie steht. So heißt zum Beispiel die Partei
„Alianzia Peru Unidos“ nicht APU wie man es an vielen
Häuserwänden sieht, sondern „la pelotita“, da dass Symbol von
APU eben ein rot-weißer Fußball ist. Weiter gibt es noch
„Kausachun“, „Ayllu“, „Incaroca“, „FIA“ und „PAPA“,
deren Symbole ein Mensch mit roter Inka-Kappe, ein Alpaka vor einem
Berg, eine Frau mit Kind in den Armen, ein grüner Baum und eine
lila-gelbe Kartoffel sind (noch mal als Anmerkung, alles was hier mit
Inka ist, ist super, jedes dritte Geschäft hat irgendwas mit Inka im
Namen, z.B. Incacredit o.ä.. Kartoffeln sind hier auch sehr hoch
angesehen.). Und dann gibt es noch das „Grande corazon de Somos
Perú“. So richtig dahinter kommen was welche Partei wirklich will,
kann und verspricht kann man als Ausenstehender wohl nicht. Ich habe
zum Beispiel mehrmals versucht mit Leuten über die verschiedenen
Parteien ins Gespräch zu kommen und es schien jedesmal so, als ob
diese auch nicht genau wussten für was diese sich einsetzten oder in
was sie sich unterscheiden. Ich weiß, hier von Scheinwahlen zu
sprechen ist unangebracht, aber ich kann mich der Vorstellung nicht
entziehen, dass diejenigen gewählt werden, die am meisten Werbung
machen oder am meisten Geschenke verteilen. So hat zum Beispiel die
Schule unseres kleinen Gastbruders einen Computer von einem
APU-Menschen geschenkt bekommen und jetzt findet er diese total
super. Hinzu kommt, dass es hier wohl noch ein gewisses Ausmaß an
Korruption gibt, die den Wahlalltag beeinflusst. Die Tatsache, dass
es dann quasi in jedem Dorf andere Kandidaten für jede Partei gibt
und es gleichzeitig Provinzial- Regional-, Distrikts- und
Bürgermeisterwahlen sind, macht den Durchblcik auch nicht einfacher.
Auf jeden Fall hören wir morgens, wenn dass Radio in der Küche an
ist immer Wahlsongs, die eigentlich nur aus dem Aufruf: Wähl unsere
Partei! Und Hintergrundgedudel besteht. Seit neustem sind aber auch
ziemlich viele Wahlumzüge zu beobachten, insbesondere am Wochenende,
selbst bei uns hier in Tipon. Was ich ganz interessant finde, ist die
Tatsache, dass man ein Bußgeld zahlen muss, wenn man nicht wählen
geht. Ob das wirklich sinnvoll ist wage ich zu bezweifeln. Ich denke,
dass dies ein guter Ansatz ist um zumindest minimales Interesse an
den Wahlvorgängen zu erzeugen, doch sehe ich, dass dieses Prinzip in
der Realität nicht wirklich fruchtet, da viele der Menschen hier auf
den Dörfern Gewohnheitswähler sind und immer das Gleiche wählen,
unabhängig von Wahlprogramm, Versprechen und vorhergegangenem
Handeln. Und bei dem Gedanken dieses Prinzip des Wahlzwanges auf
Deutschland zu übertragen muss ich einfach nur herzlich Lachen. Ich
kenne genug Leute die bei Wahlzwang Parteien wie „Schokolade für
alle!“ oder „Pro-Todesstern“ oder ähnliche Witzparteien wählen
würden, rein aus kindlichem Protest. Dazu sind wir in Deutschland
viel zu liberal und aufsässig als dass wir uns von einem Gesetz
aufdrücken lassen würden wählen MÜSSEN zu gehen. Es lebe der
Wille zur Demokratie!
Naja,
Themawechsel: Ich habe aus Deutschland hierher tatsächlich nur ein
Buch mitgenommen, wer mich kennt weiß, dass mir das für ungefähr
die ersten drei Tage gereicht hat, und inzwischen bereue ich diese
Entscheidung wirklich. Meine Lieblingsbücher sind so eine Art
Zuhause für mich, egal wo ich sie aufschlage verliere ich mich in
ihnen und fühle mich bei meinen ach so vertrauten Charakteren und
Erzählsträngen wieder wohl und sicher und dieses Gefühl überträgt
sich dann auch auf meinen jeweiligen Ort. Kinda weird, i know. Auf
jeden Fall, das einzige Buch, das ich dabei hatte hat Bene mir
geschenkt mit den Worten: bei dem Buch musste ich an dich denken. Es
geht um einen psychpathischen Serienmörder. Danke :D Oder war mir
eher die Rolle des guten Hirten angedacht? Trotzdem Danke nochmal
Bene. Gott sei dank hat Rosi haufenweise Bücher dabei, auch wenn die
Hälfte davon Esotherik/Körper-Seele-Ratgeber o.ä. sind (und nein
dass ist nicht abfällig gemeint). Aber tatsächlich hab ich ein Buch
gefunden, dass ich sehr interessant und aufschlussreich finde. Der
Titel lautet „Auf der Suche nach dem verlorenen Glück der
Kindheit“ und es handelt davon wie eine junge Amerikanerin anhand
von Ureinwohnern des Venezuanischen Urwaldes die Entwicklung eines
Babys dort und in der „zivilisierten Welt“ vergleicht. Die
Grundaussage dieses Buches ist, dass jeder Mensch und somit auch
jedes Neugeborene ein „Kontinuum“ enthält, eine Art menschliches
Rassengedächtnis, dessen Hauptaufgabe darin besteht gewisse
Erwartungen an frühkindliche Erfahrungen zu stellen. Sobald diese
Erwartungen nicht erfüllt werden, kann es zu gravierenden
psychsischen Verzerrungen kommen die in unseren Kulturen schon als
gang- und gebe anerkannt sind. Hier ein einfaches im Buch genanntes
Beispiel: Eine Mutter deren Kontinuums-Sinn direkt nach der Geburt
verlangt ihr Kind in den Armen zu halten, ihr dies aber z.B. aus
medizinschen Gründen vorenthalten wird, wird kein Glück über die
Geburt empfinden, sondern nur Trauer. Dies ist ein vom Kontinuum
eingerichteter sog. „Stabilisator“, da das Unterbewusstsein davon
ausgeht, dass bei nicht eintretendem Körperkontakt das Neugeborene
verstorben ist. Die frischgebackene Mutter erwatet also Köperkontakt
und bei nicht eintreten von diesem schaltet sich das Unterbewusstsein
als Schutzmaßnahme ein und hüllt die Mutter in Trauer, da sie davon
ausgeht, dass das Kind verstorben ist. Dies nennt sich dann
postnatale Depression.
Das
Kontinuum ist also ein Instink, der über Millionen von Generationen
der Menschheit ausgepägt wurde um richtiges Verhalten zu initiieren.
Die letzten zwei-dreihundert Jahre in denen wir „zivilisiert“ mit
unseren Kindern umgehen hat sich wohl kaum auf das Kontinuum
augewirkt. Das Haupmerkmal liegt bei der Autorin hier auf dem
Verstand, der sich vor den natürlichen Instinkten, die direkte
Auswirkung des Kontinuums, zwischenschaltet und versucht alles zu
analysieren und zu optimieren. So haben seit tausenden von Jahren
Mütte ihre Kinder aufgrund ihres natürlichen Instinkts aufgezogen,
aber heutzutage muss jede werdende Mutter mindestens die Top-10 der
aktuellen Babybücher auswendig kennen und zitieren können, um sich
vorbereitet oder als gute Mutter zu fühlen. Das oben genannte und
tausend andere Beispiele und Erklärungen finden sich im Buch. Aber
genug davon, ich find das Buch schlüssig und einleuchtend und habe
beschlossen meine zukünftigen Babys auch auf meinem Rücken rum zu
tragen. Der geneigte Leser kann sich ja selbst überzeugen lassen.
Wer hätte das gedacht, ich und Erziehungsratgeber...
Hier
noch ein anderer spannender Gedanke aus dem Buch: die Beziehung
zwischen Fortschritt und Stabilität. Ich frage mich, woher der
Wunsch nach Fortschritt bei einigen kommt und bei anderen nicht. So
leben z.B. die im Buch beobachteten Ureinwohnern seit Jahrtausenden
auf die hergebrachte Weise und sehnen sich nicht nach Fernsehen,
Autobahnen und Fast-Food, wir hingegen streben stets vorwärts. Hängt
dies mit den frühkindlichen Kontinuums-Erfahrungen zusammen, sind
„wir“ nie glücklich gewesen und streben deshalb unaufhörlich
dem Fortschritt entgegen in der Hoffnung dort würden wir „glücklich“
wie wir es als Babys hätten sein sollen, aber nie waren? Oder ist es
einfach anerzogen durch unser Aufwachsen in einer Kultur die uns dies
durch diverse Mittel anerzieht.
Tatsächlich
ist es für mich persönlich recht offensichtlich, dass der Wunsch
nach Fortschritt nur in gewissen Teilen Europas und vielleicht Asiens
kultiviert wurde und von dort aus auf die ganze Welt exportiert
wurde. So bin ich der Meinung, dass jedes Land, gar jeder Kontinent,
der von uns Europäern kolonialisiert wurde heutzutage sehr viel
besser da stehen würde, hätten wir dies nicht getan. Denn so haben
diese Länder immer nach unserem Vorbild gehandelt, in steter
Abhängigkeit zu den Kolonialstaaten, ohne dabei die Möglichkeit zu
erhalten selbst Erfahrungen zu sammel. So bin ich mir sicher, dass
die Ureinwohner von Afrika, Amerika und Australien selbst irgendwann
zu einem progressiven Lebensstil gefunden hätten und z.B. selbst
wissenschaftliche-, technische und politische Durchbrüche wie in
Europa erlebt hätten, sei es nun die erfindung der Dampfmaschine,
die Entdeckung von Elektrizität o.ä. So sehe ich zum Beispiel hier
in Peru, dass die althergebrachte Lebensweise der Peruaner nicht
immer mit dem „importierten“ Lebensstil der Westler kompatibel
ist, bzw. entsteht dadurch eine so große Kluft innerhalb der
Bevölkerung, dass diese kaum Chanchen hat sich selbst auf den Weg
einer „optimalen“ Gesellschaft zu bringen. Sie hatten nie die
Chance unvoreingenommen zu versuchen ihren eigenen Weg zu gehen, ihre
eigenen Erfahrungen zu machen. Wer weiß, vielleicht hätte eines
dieser Länder einen Weg gefunden ein besseres Leben als wir im
„Westen“ zu führen mit den gleichen Lebensstandarts, aber ohne
all die Nachteile, die unsere Gesellschaft mit sich bringt. Soviel
zum politischen Beitrag der Stunde und zu den aktuellen Ereignissen
aus Peru:
Seit
dem letzen Eintrag ist eigentlich nicht allzu viel passiert.
Inzwischen haben sich alle in ihre Familien und Schulen eingelebt,
hier und da gibt’s noch Probleme aber ja. Für mich heißt das:
Unterricht vorbereiten, durchführen, nicht resignieren und die
Projekte mit den anderen zusammen planen. Denn außerhalb des
Unterrichts müssen wir ja noch Projekte ins Leben rufen um die
Gesamtsituation hier zu verbessern. Zum Besipiel Hygienemaßnahmen in
Patabamba, tägliches Waschen, Zahnbürsten usw., eine Abendschule
für besonders begabte oder unbegabte Schüler und interessierte
Erwachsene, Müll-Projekttage und eine FußballAG um die Kids
nachmittags aus dem Internetcafe zu holen.
Da
hier das Schuljahr bald zu ende geht, gibt es hier mit einiger
Regelmäßigkeit Feste, bei denen man dann an den Schulen ankommt und
einem gesagt wird, dass der Unterricht ausfällt. So war ich letztens
Juror für einen Science-Projekttag, mit Backpulver Vulkan und so.
Außerdem war dia de los estudiantes. Da gabs erstmal wieder Programm
mit vielen Tänzen, wir haben auch was vorgesungen, und dann Essen
und Tanz in jeder Klasse. Und ganz viel Torte. Danach hatten, wir
wissen nicht obs davon kommt, Malu und Rosi eine Salmonelleninfektion
und waren ein paar Tage im Krankenhaus. Sonst gibt’s zu sagen, dass
wir mit erschreckender Regelmäßigkeit in Cusco feiern gehen, aber
dadurch haben wir auch schon unsere erste richtige peruanische
Freundin kennen gelernt. Sie heißt Routh und wir kennen sie seit
einer Montagnacht im Mythology, einer coolen Disco am Plaza. Und
diesen Freitag haben Nils, der Freiwillige der in Cusco wohnt und der
uns am ersten Tag schon begleitet hat, und ich einen echten
Männerabend gemacht, mit Pizza, Bier und Kino. Wirklich erstaunlich
ist das RealPlaza, ein Einkaufszentrum in Cusco, das, wenn man es
betritt wirkt, also wäre man irgendwo in Europa oder Amiland.
Draußen stehen Häuser aus Adobe, Lehmziegeln, der Müll liegt auf
der Straße und drinnen reiht sich Holister an Starbucks. Und dort
befindet sich auch die erste Rolltreppe Cuscos, wo anfangs zwei
Securotys den Menschen erklären mussten wie man sie benutzt. Auf
jeden Fall hat mir der Abend ein bisschen klar gemacht wie sehr ich
meine Freunde und entspannte Tage mit ihnen vermisse. Also hier ein
special shoutout an Robert Nils Joni Flo Marc Bene Kai und alle
anderen die hier jetzt nicht stehn ( seid bitte nicht böse ;) ich
hab euch trotzdem lieb!)
Montag, 22. September 2014
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