Ich bin also heute
nach Patabamba gelaufen. Ich habe den Lehrer dort bisher noch nicht
angetroffen, er musste immer früher weg, wegen „Besprechungen“. Er bleibt aber
auch ohne Ausrede gerne mal zu Hause.
Ich kenne den Weg
gut, ich bin ihn schon unzählige Male gegangen. Da ich jetzt in Oropesa wohne
muss ich zwar ein bisschen länger laufen aber das ist egal, denn es ist gutes
Wetter, die Sonne scheint, es ist warm und ich gerate bald ins schwitzen.
Selbst den Hunden ist es zu warm, um mir hinterher zu kläffen, sie liegen im
Schatten und wenn sie könnten, würden sie wohl auch schwitzen. Die Straße ist
staubig, doch links und rechts von mir liegen grüne Felder und saftiges Gras
und am Straßenrand wachsen gelbe Blüten. Der Nachhall des Regens. All dies
erzeugt in meiner Nase einen wohligen Geruch und die Luft, die zu flimmern
scheint, gibt mir das Gefühl von Sommer. Zwischen zwei Masten hängt ein Kabel
bis auf den Boden herab und summt verheißungsvoll und von der Straße höre ich
entfernt die gewohnt Mischung aus Hupen und Vorbeisausen. Mein Handy ist seit
einigen Tagen kaputt, und so laufe ich ohne Musik.
Später dann höre ich
nur noch die Vögel und ab und an ein Flugzeug über mir, die Straße habe ich
unter mir zurück gelassen. Der Anstieg der die erste halbe Stunde meines Weges
ausmacht macht sich bemerkbar und nun schwitze ich richtig, doch es macht mir
nichts aus, ich genieße es das Brennen der Sonne auf meiner Haut, die Luft in
meinen Lungen und mein Herz pumpen zu fühlen. Weit und breit ist niemand zu
sehen, ich wandere den Berg hinauf, nur verschwommen erkenne ich manchmal den
gebeugten Umriss eines Menschen der in den Maisfeldern am Berghang arbeitet.
Nur einmal kommt mir ein Pferd entgegen, ohne Reiter und ohne Seile um den Mund
die hier das Zaumzeug sind. Es kommt mir gelassen entgegen und läuft entspannt
an mir vorbei und als ich mich umdrehe sehe ich es ein genüsslich an den gelben
Blüten knabbern.
Eine gute Stunde
nachdem ich los gelaufen bin, komme ich an meinem üblichen Rastplatz an, einem
kleinen Bach, der an der Außenseite einer Wegwende entlang plätschert. Ich
setzte mich, ziehe meinen Rucksack aus und genieße die Wärme der Sonne. Erst
jetzt bemerke ich dass da ein Mann sitzt, ein bisschen oberhalb und abseits des
Weges. Hinter ihm ein Motorrad.
Nach einiger Zeit
nähert sich mir der Mann. Ich denke mir nichts dabei. Er will bestimmt nur
wissen was ein Gringo auf dem Weg nach Patabamba macht. Das kommt öfter vor.
Er ist jetzt bei mir
angekommen, setzt sich auf die andere Seite des Bächleins hin, keinen Meter von
mir entfernt. Er ist nicht alt, Mitte bis Ende zwanzig, hat eine Cap auf, trägt
Jeans und eine an den Ärmeln zerfranste grünbraune Stoffjacke. Sein Gesicht ist
glattrasiert und sein Hautton ist der typisch bronzebraune der Hochanden. Er
sitzt mir gegenüber ein bisschen seitlich, die Fuße auf dem Gras die Knie nach
oben angewinkelt, den Oberkörper gerade aufgesetzt ohne sich mit den Armen nach
hinten ab zu stützen oder die Hände auf die Knie zu legen.
Ich breche das
Schweigen mit einem freundlichen „Buenos Dias“, das er erwidert und wir
beginnen zu plaudern. Das übliche : Wer ich sei, woher ich komme, was ich hier
mache, ob es denn nicht gefährlich sei wenn ich alleine hier entlang wandere.
Ich antworte ausgiebig und drücke ihm eine unserer Karten in die Hand und
erzähle ihm von unsrer NGO hier, Qapaq Sonqo, was soviel bedeutet wie „großes
Herz“. Ich erkläre ihm, dass ich ein Freiwilliger aus Deutschland sei und hier
im Süden von Cusco und gerade in ärmeren Teilen der Region, wie in Patabamba,
Englisch unterrichte. Daraufhin meinte er, dass meine Bezahlung wohl gut sein
müsste, da es wohl sehr schwer wäre in Orten wie Patabamba zu unterrichten und
dass wir wohl auf viele Probleme stoßen müssten. Als ich ihm erklärte dass wir
keine Bezahlung im eigentlichen Sinne erhielten war er ein bisschen entgeistert
und ich klärte ihn darüber auf, dass, entgegen der landläufigen Meinung der
Einheimischen, nicht alle Gringos die in Peru sind eine Menge Geld haben. Dabei
zeigte ich ihm lachend meinen leeren Geldbeutel der gerade mal 4 Sol enthielt.
Zwischenzeitlich
waren Wolken auf gekommen und es fing langsam an zu zu ziehen.
Ich kam darauf zu
sprechen was er hier mache, so mitten im Nirgendwo, denn Patabamba kannte er
nicht. Er stand auf und zeigte mit dem Arm in eine Richtung hinter sich ein
Stück den Berg runter und meinte er habe dort einige Felder. Er fing an zu
erzählen, dass er früher beim Militär gearbeitet hatte, mit Maschinen wie er mir
nach einem kurzen Zögern erzählte, nun aber dort fertig sei und diese Gegend
hier verlassen wolle. Er fragte mich wie viel wohl ein Flug nach Deutschland
kosten würde und ob er dort arbeiten könne. Es sei doch sehr schön in
Deutschland höre man immer.
Er setzte sich
wieder, schaute mich aber nicht an, sondern in die Ferne und erzählte mir dann
von seinem Leben beim Militär. Dabei war sein Gesicht manchmal Ausdruckslos und
manchmal nahm es gequälte Züge an. Ich verstand nicht alles, da er manchmal
sehr schnell und manchmal eher leise redete und mir nur selten ins Gesicht
schaute, doch ich meine verstanden zu haben, dass er an Razzien teil genommen
habe und dort viel erlebt hat. Einmal hätten sie ein Bordell hoch genommen und
dort sehr viel Geld gefunden.
Da mir das Thema ein
bisschen unangenehm wurde, da er selbst von seiner Erzählung sehr gefangen
genommen war, fragte ich ihn nach der Uhrzeit, denn mein Handy ist ja kaputt
und wer mich kennt weiß, dass ich nie eine Uhr trage. Er antwortete mir,
scheinbar ein bisschen verwirrt und gleichzeitig mit einem spöttischen Funkeln
im Gesicht: „Kurz vor elf.“
Nachdem er seine
Arbeit aufgegeben hat, so erzählte er mir, sei er von den Schergen des
Bordellbesitzers verfolgt worden und sie hätten zuerst seinen Freund und dann
ihn eines Nachts erwischt und wollten wissen, wo all das Geld sei. Doch er
hatte es natürlich nicht. Dabei schaute Er mich zum ersten Mal seit langem
wieder an und grinste. Dann hätten sie ihn zusammen geschlagen und er zeigt
mir, mit untypischer Offenheit, eine Narbe am Schienbein, wo scheinbar der
Knochen ausgetreten sei und drei horizontale Narben unterhalb des Solarplexus
die von Messer stammen könnten.
Sein Gesichtsausdruck
war irgendwo zwischen dem Wunsch zu erzählen und Stolz wegen der Narben.
Seitdem ginge er nur
noch nachts aus dem Haus und deshalb fahre er tagsüber auch gern mit seinem
Motorrad an abgelegene Orte. Und seitdem ist er auch immer bewaffnet, sagt er
und greift mit der Hand hinter sich und holte einen Revolver hervor; er greift ihn
mit dem „Finger lang am Abzug“ und richtet ihn nach Vorne sodass die Mündung,
wenn auch nur ganz kurz, auf mich gerichtet ist.
In einem
Sekundenbruchteil zieht vor meinem Inneren Auge nochmal das Vorbei was ich über
Entwaffnung gelernt habe.
Arme mit sensenartiger Bewegung von außen
nach innen. Recht Hand vorne an den Lauf, linke hinten flach mit Wucht ins
Handgelenk. Oberkörper aus dem Schussfeld zur Seite neigen. Er ist weniger als
einen Meter entfernt, gute Chancen aus zu weichen.
Er lacht kurz bellend
auf, mein Gesicht muss wohl kurz versteinert sein und sagt, dass ich keine
Angst zu haben brauche, nur für den Fall der Fälle und dass er schon einmal auf
zwei (scheinbare) Verfolger geschossen hätte.
Wir plaudern noch
eine Weile und verabschieden uns dann. Auf die Frage nach seinem Namen
antwortete er ohne mich an zu schauen nach einem kurzen Zögern: „Juan.“
„Juan?“, wiederholte
ich fragend. Er nickte.
„Mucho Gusto.“
Mit diesen letzten
Worten wende ich mich ab und setzte meinen Aufstieg fort.
„Juan.“ Juans gibt es
hier wie Sand am Meer. Wieso hat er sich nicht gleich Max Mustermann genannt.
Als ich einige Zeit
später in Patabamba ankomme ist die große blaue Tür der Schule von außen mit
dem offenen Schloss verhangen und als ich eintrete blicken mir nur Kühe vom
Schulhof entgegen. Und angesichts der unzähligen Kuhfladen die herum liegen,
kann ich mir kaum vorstellen, dass die Schule in letzter Zeit von jemand
anderem als den Kühen genutzt worden ist. Es ist niemand da.
Eine ungefähr
5-jährige kommt mir auf meinem Weg aus dem Dorf entgegen, die Schafe vor sich
her treibend, ihr kleines Geschwisterchen auf dem Rücken und sagte die Worte
die ich inzwischen zu hassen gelernt hatte: „Profe no ha venido.“ Der Lehrer
ist nicht gekommen.
Auf dem Rückweg ist
Juan weg, ich laufe schweigsam den Berg hinunter. Nur einige Bauern die auf den
Feldern gearbeitet hatten und jetzt zusammen Bier trinken rufen mir hinterher:
„Gringo, trinkst du ein Bier mit uns?“, „Wo willst du hin?“, „Du musst in die
andere Richtung!“
Nein Danke, murmel
ich und weiß immer noch nicht was ich von all dem hier halten soll.