Peruanische Erziehung
ist ein bisschen anders als die unsere. Auch wenn ich immer höre, dass die
Erziehung in Deutschland zur
Uneigenständigkeit und „Verweichlichung“ beiträgt, so glaube ich doch, dass
diese Art der peruanischen ein bisschen voraus ist.
So hart es sich
anhört, was in meinen Augen die hiesige Erziehung zu großen Teilen ausmacht ist
ein Mangel an Einfühlungsvermögen und ein gewisses Maß an Rücksichtslosigkeit.
So wachen Rosina und
ich zum Beispiel fast jeden morgen entweder vom Geschrei unserer kleinen
Gastschwester, eigentlich ist sie unsere Nichte, oder dem Gebrüll ihrer Mutter
als Antwort auf. Oder vom Gejammer des Radios.
Auf jeden Fall, nach
einigen Wochen, habe ich angefangen ein Muster zu erkennen.
Unsere kleine
Gastschwester, 7 Jahre alt und in der zweiten Klasse, ist ein Mamakind und
recht verwöhnt dazu. Wenn sie also morgens nicht ihren Tee austrinken oder sich
die Haare waschen, so fängt sie an zu schreien. Als Antwort brüllt ihre zurück,
dass sie jetzt sofort ihren Tee austrinken soll. Die kleine fängt an zu weinen,
zu brüllen und wirft sich manchmal auf den Boden, was fast schon zu
klischeehaft ist. Ihre Mutter brüllt weiter, gefolgt von der Drohung sie zu
schlagen, ihr den Kopf mit kaltem Wasser zu waschen usw. Nicht sehr
erfolgreiche Erziehung, direkt vor meinen Augen, in vivo.
Der Morgen geht
weiter, ausgetrunkener Tee oder nicht, und irgendwann muss entweder die kleine
oder unsere ältere Gastschwester gehen. Wenn die kleine geht muss ihre Mutter
mitkommen, geht die Mutter zuerst muss die kleine mitkommen. Das geht so weit,
das die kleine, wenn unsere ältere Schwester morgens um 3 nach Cusco fährt um
Brot zu verkaufen, ebenfalls mitkommt und in der Verkaufstelle weiterschläft.
Kommt sie nicht mit, fängt das Geschreie und Gebrülle wieder von vorne an. Ist
Runde Nr. 2 überstanden, kann es sein, dass die kleine nicht mitgekommen
ist, so schreit sie weiter. Und weiter. Und weiter.
Wo ich das Bedürftnis
habe zur kleinen zu gehen und sie zu trösten kommen ihr Bruder und unsere
andere Gastschwester zu den Schluss, dass es für die kleine besser ist sie
anzuschreien leise zu sein und ihr den Mund zu zu halten. Was natürlich höchst
effektiv ist und bestimmt nicht zu Bisswunden führt.
Ich habe das Gefühl,
dass keiner der Familienangehörigen Empathie oder Mitleid empfindet, was in
meinen Augen sehr schade ist.
Ein weiteres Beispiel
habe ich beobachtet als eine Frau in den Bus einsteigen wollte. Sie hatte ihr
Baby in einem Manta quer über den Rücken und wollte also in den Bus einsteigen
und als sie die Treppen hinaufsteigt knallt der Kopf ihres Babys mit Wucht
gegen den Türrahmen. Das kleine Kind fängt an zu schreien, die Mutter leckt ihr
nur einmal über die Stirn, auf der sich schnell eine große Beule bildet und
herrscht die kleine dann an leise zu sein und nicht zu weinen.
Ich saß nur mit
offenem Mund daneben, Unverständnis ins Gesicht gepinselt.
Mit was ich als
Beispiel für die Rücksichtslosigkeit ins Feld ziehe ist eine kleine Geschichte
vom 19. Geburtstag unserer Gastschwester Yara.
Der Geburtstag wurde
hier zuhause gefeiert, ein paar Freunde sind gekommen, jeder hat ein paar
Gläschen PiscoSour bekommen, es wurde zu peruanischem Schlager getanzt, die
Familie saß nebendran und hat sich betrunken. Auf jeden Fall sind Rosina und
ich irgendwann zu Bett gegangen. Es haben zwei Freunde in unserem Zimmer
geschlafen, kein Ding. Irgendwann zwischen 3 und 4 Uhr morgens bekommen wir
Besuch in unserem Zimmer. Anahy, Yara und ein dritter Freund kommen in unser
Zimmer und beginnen sich darüber zu unterhalten ob der dritte noch im Bett
schlafen kann. Und zwar nicht gerade leise. Irgendwer setzt sich dann noch auf
unser Bett und zerquetscht unsere Füße. Dann klingelt Anahys Telefon, sie nimmt
ab und brüllt ins Telefon dass es ja wohl kein Problem sei wenn noch einer im
Haus unten an der Straße schläft. Rosina und ich, natürlich immernoch
Schlafsimulanten, sind vollkommen angepisst. Und diese Rücksichtslosigkeit ist
nur ein Beispiel von vielen.
Und im Endeffekt
übertragen sich dieses fehlen von Rücksichtnahme und Einfühlungsvermögen auf
die Gesellschaft, nicht nur beim Autofahren oder im Schulunterricht.
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